Vom Flachsstroh zur Faser

Das Schwingen von Flachs

Selbst die modernste Schwinge bildet einen uralten Handarbeitsprozess nach: das Röststroh – einerlei ob aus Wasser- oder Tauröste – wird ggfs. von Samen befreit, sodann wird der innen liegende Holzteil in kleine Stücke gebrochen und schließlich werden die kleinen, inzwischen von der Faser isolierten Holzteilchen herausgeschlagen. Dieses Herausschlagen geschah früher mit einem breiten hölzernen Messer und die dabei notwendige, weit ausholende, Armbewegung hat zu dem Begriff „Schwingen“ geführt, welcher heute auch für die maschinelle Umsetzung der Handarbeit benutzt wird.
Voraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb einer Flachsschwinge ist ein geeignetes Röststroh. Dessen Wassergehalt darf nur in einem recht schmalen Korridor (10% bis 16%) liegen. Zu trockenes Röststroh führt zu mangelhafter Faserausbeute, zu nasses Röststroh verschmutzt und verstopft die Anlage.
Eine moderne Schwingturbine ist etwa 40 m lang und fügt die uralten Handarbeitsschritte hintereinander. Wesentlich ist, dass der Flachs über den gesamten Schwingprozess durch mitlaufenden Führungsriemen stets fixiert ist. Nachdem der Schwad aus dem auf dem Feld gepressten Rundballen abgelaufen ist wird er zunächst etwas gelockert und dann durch eine Art Kamm von den restlichen Kapseln bzw. Leinsamen befreit. Danach wird der Schwad durch schwere, ineinander greifende Zahnwalzen gebrochen. Schließlich wird der Schwad wie ein Vorhang durch bis zu vier einzelne Turbinen hindurch geführt, die nacheinander den unteren und oberen Teil der Pflanzen so kräftig von Scheben befreien, dass nur noch die Langfasern übrig bleiben. Am Ende der Schwinge werden die Langfasern von Hand sortiert und in große Ballen gepresst.
Noch heute ist anstrengende Handarbeit wie hier an der Flachsschwinge zur Erzeugung bester Fasern notwendig

Alternative Verfahren der Faserausarbeitung

Es gibt eine Fülle von Ansätzen zur Ausarbeitung von ungerichtetem Flachsstroh. Allen gemeinsam ist, dass die Ausreinigung mit einer starken Verkürzung der Faser einhergeht. Je höher die Ansprüche an Freiheit von Schäben sind desto kürzer wird die Faser.
Sehr einfach kann die Ausarbeitung von ungerichtetem Flachsstroh durch Vorschaltung von Brechwalzensätzen vor die Wergreinigung geschehen. Ebenso gibt es die Möglichkeit mehr oder weniger eingekürztes Flachsstroh in Reißanlagen von Scheben zu befreien. Weiterhin werden eine Fülle von Maschinenkonfigurationen angeboten, die auf der Kombination von Kardieren und Separieren beruhen; dies bedeutet, dass zwischen großen benadelten Walzenpaaren ein Kämm-/Reißvorgang abläuft, welcher die Holzteile von den Faserteilen trennt. Dieses Grundprinzip wird vielfach variiert: unterschiedliche Nadelarten und –formen, diverse Abscheidungssysteme für Verschmutzungen, kaskadenartigen Hintereinanderschaltung von Aggregaten sind anzutreffen. Gemeinsam ist allen Typen, dass ihnen ihre Entstehungsursache als Reinigungssystem für Baumwolle oder als Kotonisierungsanlagen für Flachsfaser (d.h. Anlagen um Flachswerg so zu verfeinern, dass die Flachsfaser wie Baumwolle verarbeitbar wird) stets anzumerken ist: hohe Reinheit führt zu kurzen Fasern.
In den letzten Jahren neu hinzu gekommen sind Hammermühlen oder Prallbeanspruchungen zur Trennung von Holz- und Faserteil. Dieser ersten Bearbeitungsstufe folgen dann wieder Reinigungs- und Verfeinerungsstufen nach dem Kardenprinzip.
Viele dieser Systeme kranken an der Auflösung der Flachsstrohballen sowie an der groben Zerkleinerung bzw. Einkürzung der Stängel. Steine beispielsweise werden bei einer ungerichteten Lage des Flachsstrohes zu einer permanenten Bedrohung der Anlagentechnik. Hinzu kommt das Problem, dass der Röstgrad des eingesetzten Strohes kleinräumig sehr unterschiedlich sein kann. In der Folge ist eine solche Anlage nicht rohstoffgemäß einstellbar.
Insgesamt haben die alternativen Faserausarbeitungsverfahren ihre nachhaltige Wirtschaftlichkeit noch nicht unter Beweis stellen können.
Bei vielen alternativen Fasergewinnungsverfahren steht am Ende die einzelne Faserzelle

Zwischenprodukt Langfaser

Am Ende der Schwinge werden die etwa 60 bis 100 cm langen technischen Faserbündel nach einer Reihe von Kriterien wie beispielsweise Farbe, Reinheit, Länge und Gleichmäßigkeit von Hand sortiert. Dabei wird oft zwischen der Hauptqualität (welche die Menge der Partie ausmacht), leicht fehlerhaften Fasern und Minderqualität unterschieden. Die verschiedenen Qualitäten werden jeweils separat gebündelt, etwa sechs dieser Bündel ergeben einen Ballen von 100 kg, welcher in einer Hochdruckpresse entsteht. Diese Ballen werden gekennzeichnet und in einem Lager geordnet. Flachsstroh weist typische Ausbeuten an Langflachs von 14 bis 21% auf. Bei einer Strohmenge zwischen 5 und 8 t /ha entspricht dies einem Langfaserertrag von 700 kg bis 1680 kg/ha. Hinzu kommt der Ertrag an Werg, so dass effektive Fasererträge von mehr als 2000 kg/ha Flachsfaser keine Seltenheit sind. Das Preisniveau für Langfasern bester Qualität schwankt je nach Marktlage zwischen 1.30 und 3.30 Euro/kg, der Preis für Minderqualitäten entsprechend zwischen 0.60 und 1.60 Euro/kg.
Die mittlere Partiengröße von Langflachs liegt oft bei etwa 5 t . Diese Partie ist so individuell wie guter Wein. Unterschiedliche Aufwuchs- und Erntebedingungen sorgen dafür, dass es genau genommen keine zwei identischen Langflachspartien gibt. Jedoch wird bereits beim Einstapeln ins Lager versucht, möglichst ähnliche Partien zu Liefereinheiten zu vereinen. Deren Schwankungsbreite wird häufig auf der Handelsstufe durch weitere Aufspaltung und Zuordnung verringert, so dass schließlich einigermaßen einheitliche Großpartien von mehreren hundert Tonnen den Spinnereien zur Verfügung gestellt werden können.
Langflachs wird nahezu ausschließlich in der klassischen Leinenspinnerei verwendet. Nur vereinzelt werden technische Artikel wie Wurstschnüre aus Langflachs hergestellt.
Von warmen Glanz und edler Feinheit – Langfasern am Ende des Schwingprozesses

Zwischenprodukt Werg

Bereits ungereinigtes Werg ist ein Handelsprodukt, welches von spezialisierten Wergschwingereien gereinigt und verschnitten wird. Nicht zuletzt wegen des ungünstigen Verhältnisse zwischen Volumen und Warenwert wird meist jedoch gereinigtes Werg gehandelt. Dabei gibt es ausgangs der Wergreinigung innerhalb einer Partie keine Sortiermöglichkeiten nach Qualität, sondern es werden im Lager analog der Zuordnung der Langflachspartien auch Liefereinheiten an Werg gebildet.
Flachsstroh weist typische Ausbeuten an Werg von 7 bis 15% auf. Bei einer Strohmenge zwischen 5 und 8 t /ha entspricht dies einem Wergertrag von 400 kg bis 1000 kg/ha. Hinzu kommt der Ertrag an Langflachs, so dass effektive Fasererträge von mehr als 2000 kg/ha Flachsfaser keine Seltenheit sind. Das Preisniveau für Werg bester Qualität schwankt je nach Marktlage zwischen 0.20 und 0.90 Euro/kg, der Preis für Minderqualitäten entsprechend zwischen 0.10 und 0.40 Euro/kg. Bessere Wergqualitäten werden meist im textilen Bereich eingesetzt: dabei können sie unmittelbar als Ausgangsmaterial für die klassische Leinenspinnerei dienen oder auch – eingekürzt und verfeinert – als kotonisierte („baumwollartige“) Faser in die Stapelfaserspinnerei gehen. Letztere produziert sowohl Reinleinengarne als auch Garnmischungen mit Baumwolle, Viskose, Polyester etc.
Mittlere Wergqualitäten werden in letzter Zeit zunehmend als Vliesfaser ausserhalb der Textilindustrie eingesetzt. Dazu werden sie im Vorwege geschnitten oder gerissen, da die Vliesanlagen die Ausgangslängen der Fasern von 300 bis 700 mm nicht bewältigen können.
Solche Flachsvliese finden zusammen mit diversen Kunststoffen Verwendung bei der Herstellung von Formpressteilen wie bspw. Hutablagen oder Türverkleidungen. Auch bei der Herstellung von natürlichen Dämmstoffen werden mittlere Wergqualitäten verwendet.
Die geringsten Wergqualitäten sind ein gefragter Rohstoff für die Herstellung von hochwertiger Zellulose wie sie für Spezialpapiere (z.B. Geldnoten) oder Filtern notwendig ist.
Manche Werge sind eher für technische Zwecke denn zur Garnherstellung geeignet

Endprodukt Scheben

Unter Scheben wird der Holzzylinder im Innern der Flachspflanze verstanden, der von dem Bastteil einschließlich der darin befindlichen Fasern umschlossen wird. Während der Röste wird die Verbindung von Holz- und Bastteil soweit aufgelöst, dass in der folgenden Faserausarbeitung die Scheben abgetrennt werden können.
Diese Scheben finden Verwendung in verschiedensten Bereichen: sie werden in großen Mengen als Grundstoff von Leichtbauplatten eingesetzt, allerdings weisen diese Platten nur eine vergleichsweise geringe Feuchtebeständigkeit auf. Ebenso werden Scheben als Zuschlagstoff von Blumenerden verwendet und reduzieren damit den Torfverbrauch und damit die Zerstörung von Moorgebieten. Mit besonderem Erfolg werden Scheben als Tiereinstreu genutzt; dabei zeichnen sie eine unerreichte Saugkraft sowie eine überaus lange Verwendungsdauer aus.
Nichts an der Flachspflanze bleibt ungenutzt -die Scheben stellen z.B. eine hervorragende Pferdeeinstreu dar

Endprodukt Leinsaat

Von Urzeiten an war neben der Flachsfaser stets auch der Leinsamen ein wichtiges Produktionsziel. Es ist naheliegend, dass zumindest soviel Leinsaat zu erzeugen war, wie im Folgejahr für die neue Aussaat gebraucht wurde. Jedoch auch darüber hinaus war Leinsamen hoch begehrt. Ihr hoher Gehalt an essenziellen Fettsäuren beugte Mangelernährung vor und die Schleimstoffe in der Schale wirkten beruhigend auf den Magen. Das aus Leinsaat gewonnene Öl war eine hervorragende Zutat zu Speisen, kann jedoch aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften (schnelltrocknend) als eines der ersten technischen Öle gelten. Ohne Leinölfirniss wäre schon so mancher alte Meister verblichen.
Der nach der Tauröste gewonnene Leinsamen ist oft schon verpilzt oder weist Beschädigungen auf. Daher kommen diese Samen oft nur für die Verwendung in der Ölmühle in Frage. Sind bessere Qualitäten gefordert, so bleibt nur die Möglichkeit, bereits zu Beginn der Feldphase die Samen zu gewinnen.
Leinsaat aus der Flachsschwinge taugt meist nur noch für die Ölmühle

Zwischenprodukt Kurzfaser

Unter Kurzfasern werden in erster Linie Flachsfasern verstanden, welche aus anderen Aufbereitungstechnologien als der klassische Flachsschwinge resultieren. Der Begriff ist insoweit etwas unglücklich, als das Längenspektrum der Kurzfasern von wenigen mm Länge bis hin zu mehr als 400 mm reicht – mithin also auch recht lange Fasern darunter fallen. Ebenso kann der Reinheitsgrad sehr unterschiedlich sein und sich durchaus im Bereich von 1% bis 20% Holzteile (Scheben) bewegen. Schließlich kann die Feinheit in einem extrem weiten Bereich schwanken. Es hat sich daher eingebürgert, dass oft die späteren Verwendungszwecke zur weiteren Charakterisierung der Fasern mit heran gezogen werden.
Als typisches Beispiel mögen Vliesfasern gelten, die dem Verwendungszweck entsprechend mittlere Längen von 40 bis 80 mm aufweisen und bei denen oft ein Schebengehalt von etwa 5% toleriert wird. Andere Kurzfasern wie beispielsweise solche für Reibbeläge weisen wesentlich geringere Längen (z.B. 6 mm) auf und sind nahezu frei von Scheben. Auch baumwollartig („cotonisierte“) hergerichtete Flachsfasern fallen unter den Begriff Kurzfasern, solche Fasertypen weisen oft Längen im Bereich des Baumwollstapels (etwa 30-40 mm) auf und sind gleichfalls nahezu frei von Scheben. Ebenso finden sich hier Verstärkungsfasern (Kunststofftechnologie), Polsterfasern (Möbelherstellung) „Papierwerge“ (Zellstoffherstellung) u.v.m. Kurzfasern warten viele Jahre eine Art Beiprodukt der klassischen Flachsproduktion mit Hauptausrichtung Textilfaser. Neuere Faseranwendungen wie beispielsweise im Dämmstoffsektor oder im Automobilbau führten zu einer gewissen Euphorie in der Markteinschätzung; dies weniger was Mengen betraf als nachhaltig erzielbare Preise.